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Fünf Thesen zur Sterneküche

Fünf Thesen zur Sterneküche

Zukunft ist eine Haltung. Sternekoch Norbert Niederkofler über die notwendige Transformation gehobener Küche hin zu lokal verwurzelter Nachhaltigkeit.

Text: Bernd Zerelles - Foto: Andi Mayr - Film: Arnd Buss von Kuk Lesezeit: 7 min

Norbert Niederkofler hinter einer Glasfassade im Restaurant Alpinn.

Bis 2008 war die Küche von Norbert Niederkofler (60) bekannt für Variationen von der Gänseleber und Meeresfische die aus der ganzen Welt nach Südtirol eingeflogen wurden. Dann vollzog er einen radikalen Wandel: „Ich fand es irgendwann unsinnig, dass internationale Gäste in einem kleinen Südtiroler Bergdorf genau die gleiche Haute Cuisine serviert bekommen, wie zum Beispiel in Australien.“ Niederkofler wuchs im Südtiroler Ahrntal auf und lernte nach Lehrjahren in Deutschland, der Schweiz, den USA und Österreich hohe Kochkunst in Deutschland bei Jörg Müller, Eckart Witzigmann und in Italien bei Nadia Santini. Seit 1994 wirkt er als Executive Chef im Hotel Rosa Alpina, St. Kassian. Im Restaurant St. Hubertus wandelte er die Küche nach seinem ‚Cook the Mountain‘ Konzept. Mit Nachhaltigkeit und Regionalität als höchsten Prinzipien setzt er hier ein unverwechselbares und einzigartiges Genusserlebnis um, das im perfekten Einklang mit dem Rhythmus der Natur, der Umwelt und deren Bewohnern steht.



Norbert Niederkofler im Gebäude.
Porträt von Norbert Niederkofler.

Norbert Niederkofler möchte mit seinen Gerichten Geschichten erzählen: von den Bergen, von der täglichen Mühe der Bauern und der Tierzüchter, von der Qualität ihrer Produkte, von überlieferten Traditionen, Sorgfalt, Beständigkeit und Leichtigkeit. Das gelingt ihm so gut, dass seine kreative Küche im Restaurant St. Hubertus seit 2018 mit drei Sternen gekürt ist. Darüber hinaus lässt sich das einzigartige Erlebnis von Niederkoflers Bergküche auch im Restaurant AlpiNN auf dem Südtiroler Kronplatz bei Bruneck auf 2275 Meter Höhe genießen. Mit seinem kompromisslos regional, nachhaltigen Anspruch prägt Niederkofler jedoch nicht nur die Gerichte, die er seinen Gästen serviert, sondern möchte auch kulturelle und soziale Werte in die Zukunft tragen: „Die Verknüpfung von Bergkultur und -tradition mit Küche und Gastronomie aus aller Welt, kann einen Beitrag zum globalen, nachhaltigen Wachstum leisten und den Anstoß zu einer neuen wirtschaftlich-sozialen Entwicklung geben, die alle Aspekte des engen Wechselverhältnisses zwischen Produkt, Produzent, Ursprungsterritorium und Konsument berücksichtigt.“

Zwetschgen in Einmachgläsern.

1. Die Natur gibt den Takt vor.

„Wir Köche und Köchinnen müssen der Natur folgen. Und das bedeutet: Wir müssen anfangen, anders zu denken – und zwar ein Jahr im voraus. Ein Großteil unserer Arbeit hier in Südtirol findet im Winter statt. Die Natur schläft im Winter. Und wir planen das gesamte nächste Jahr. Es finden die Treffen mit unseren Bauern statt, bei denen wir besprechen, welche Produkte sie für uns anpflanzen können. Im Frühjahr, Sommer und Herbst ist unser Motto: laufen, laufen, laufen. Wir pflücken, sammeln und ernten. Um unsere Vorratskammer bestmöglich zu füllen. Damit arbeiten wir dann den Winter durch in der Küche. Wir verwenden nur jahreszeitliches Gemüse. Gewächshäuser sind tabu. Im Winter kann man bei uns keine Tomaten essen, außer sie sind eingelegt oder fermentiert. Wir mussten unsere Idee vom Kochen auf den Kopf stellen – und sind jetzt auf einem komplett anderen Weg unterwegs als vor zehn Jahren. Anpflanzen, ernten, einmachen, ruhen: Dieser Kreislauf ist ein Jahrhunderte altes System, nachhaltig und mit Respekt vor der Natur.“



Norbert Niederkofler an der Tür zu einem Bunker.
Käselaib.

2. Produzenten sind Partner auf Augenhöhe.

„Ein guter Koch hat noch bessere Produzenten. Und einen guten, direkten Kontakt zu ihnen. Die kleinen Produzenten und Züchter, die sich täglich mit Leidenschaft der nachhaltigen Bewirtschaftung hingeben, schaffen mit ihren Produkten nicht nur einen hohen Wert, sondern stellen einen wichtigen Teil des lokalen und kulinarischen Erbes dar. Ich bezeichne Sie gerne respektvoll als ‚Handwerker des Territoriums‘. Wir beziehen sie mit all ihrem Wissen auf Augenhöhe ein und schaffen mit ihnen einen lokalen Wirtschaftskreislauf. Wir planen mit ihnen gemeinsam die artenreiche Bewirtschaftung ihrer Flächen, denn sie sollen gut wirtschaften können und wir wollen unterschiedliche Produkte über das Jahr verteilt. Nur ein Beispiel: Wir kochen heute mit ungefähr 20 verschiedenen Karottensorten über alle Jahreszeiten hinweg, sowohl frische, als auch lagerfähige, oder welche, die wir fermentieren. Und auch Ethik in der Zahlung ist uns wichtig: Wir bezahlen keine Zwischenhändler, sondern die Bauern direkt, deshalb erhalten sie auch höhere Preise für ihre lokalen Produkte. Einfache, reine und unverfälschte Rohstoffe sind unerlässlich, um den wahren Geschmack einer für jeden zugänglich lokalen Bergküche zum Genuss zu machen.“

Zwiebel auf Heubeet.

3. Kreative Kochkunst macht regional zu exquisit.

„Saisonalität und Regionalität: Die Wertschätzung von lokalen Produkten ist das eine. Jedes unserer Gerichte spiegelt die Berge, die harte Arbeit der Bauern und Züchter, die Qualität ihrer Produkte, die überlieferten Traditionen, die Sorgfalt und die Ausdauer wider. Unsere Gerichte sind absolut auf die Jahreszeit abgestimmt, da wir gewisse Produkte nur zu gewissen Zeiten verwenden. Aber dem, was man quasi am Wegesrand findet, einen Wert geben, das ist das andere. Wir mussten auf dieser Basis eine Küche kreieren, die interessant und begehrlich ist. ‚Cook the Mountain‘ ist nicht einfach ein Salat mit zehn lokalen Wildkräutern. Ich muss mit den Nahrungsmitteln, die wir bekommen, kreativ sein, sie optimal nutzen und daraus Gerichte schaffen, die unserem Anspruch als drei Sterne Restaurant gerecht werden. Das ist der kreative Teil, denn wir wissen eben nie genau wann welches Gemüse wie kommt. Wie feucht war das Frühjahr, wie warm der Sommer, wie üppig fällt die Ernte aus? Wir müssen immer flexibel sein, mit der Ware die wir erhalten optimal kochen. Darüber hinaus arbeiten wir nach dem dem No-waste-Konzept. Unser Rezepte sind so geschaffen, dass wir keinen Lebensmittelmüll produzieren. Wir verwerten Produkte zu 100 Prozent. Von Kartoffelschalen über Fleischabfälle, bis hin zum Kochwasser von Gemüse kann in kreativen Rezepten alles zu einer Zutat werden. Wir besinnen uns auf die alten Traditionen, sind aber natürlich mit der Technik von heute kreativ. In unseren Gerichten gibt es viele Einflüsse der asiatischen Küche, sei es fermentiertes Gemüse oder das Arbeiten mit Sojasoße. Diese stellen wir aber natürlich nicht aus Sojasprossen her, sondern aus lokalen Produkten, in diesem Fall Berglinsen. Ich bin davon überzeugt: Nur weil unsere Küche so kreativ ist, hat sich das Konzept der saisonal-regionalen Sterneküche auch durchgesetzt.“


Norbert Niederkofler zeigt seine Sojasauce aus Berglinsen.
Berglinsen.

4. Ein Restaurant ist ein Kultur-Konzept-Erlebnis.

„Ein Ort, an dem das Essen die Hauptrolle spielt, ein Treffpunkt, wo das Miteinander am Tisch zum geteilten Erlebnis wird, ein Living Room von heimeliger Atmosphäre: Ein Restaurant ist für mich ein kulturelles Konzept. Ein Erlebnisraum, welcher dem Essen über seiner Funktion als Nahrung, die Rolle eines Elements einräumt, das verbindet. Besonders deutlich wird das in unserem AlpiNN Restaurant am Gipfel des Kronplatz – eine atemberaubende Kulisse, in der Blick und Gedanken frei werden und Tradition auf Neuheit trifft. Der Südtiroler Designer Martino Gamper gestaltete die Gasträume mit seiner identitätsstarken Ausrichtung. Jedes Detail hier steht für Region, Heimat und Nachhaltigkeit, von der Einrichtung bis hin zur Küche. Mit einem Rundumblick kann ich in die Täler und Orte zeigen, aus denen das Restaurant seine Produkte bekommt, wo die Produzenten sitzen. Es ist ein ‚Living Room in the Mountain‘ in dem die Philosophie von ‚Cook the Mountain‘ konsequent umgesetzt ist.“



Modernes Knödelgericht.
Berglandschaft Südtirols.

5. Ohne Wertschätzung keine Zukunft.

„Nur wenn ein Restaurant nicht nur wirtschaftlich nachhaltig arbeitet, sondern auch nachhaltig für die Mitarbeiter ist – vor allem ihren Zeiteinsatz – wird es eine Zukunft haben. Daher ist unser erklärtes Ziel: ein Team von Mitarbeitern aufzubauen, denen wir eine wirklich gute Lebensqualität ermöglichen. In jedem anderen Beruf ist eine definierte Wochenarbeitszeit normal. Freizeit im Gastronomiegewerbe? Ist Mangelware. Morgens um sechs Uhr im Wald Pilze sammeln und bis Mitternacht dann in der Küche stehen? Nur wenn wir das System Restaurant ändern, können wir unser Team motivieren und halten – und es attraktiv gestalten für die nächste Generation. Wertschätzung für lokale Produkte und faire Arbeitsbedingungen bedeutet übrigens auch, dass der Gast bereit sein muss, entsprechende Kosten zu übernehmen. Aber ich bin zuversichtlich. Denn wir haben der nächsten Generation von Köchen gezeigt, das man mit einer lokalen Küche aus der Natur auf drei Sterne Niveau kochen kann. Wir haben den Weg bereitet für ein System, dass genau so gut in Kalabrien oder irgendwo anders auf der Welt funktioniert. Du musst dich nur auf die lokale Kultur und die lokalen Traditionen besinnen, diese neu aufbauen und neu interpretieren. In ganz Italien arbeiten etwa 20 Sterne-Köche nach unserer Philosophie, sie alle wurden bei uns ausgebildet. So kann man Dinge verändern.“


Henrik Wenders und Norbert Niederkofler im Gespräch.

Conversations on Progress: Henrik Wenders trifft Norbert Niederkofler

 

Conversations on Progress: Henrik Wenders trifft Norbert Niederkofler